„Warum sind die nagelneuen Unterkünfte nach zwei Tagen dreckig und vermüllt?“ steht im Tweet von Morbus Laetitia.
nix gegen sie. ich verstehe die Frage schon. sie wurde auch nicht in unempathischem Kontext gestellt, sondern ganz aufgeschlossen und ausgewogen. das nur vorab.
nur fallen mir so viele gute Gründe ein, warum Unterkünfte für Flüchtlinge nach 2 Tagen ziemlich abgerockt aussehen.
vorab empfehle ich, sich den Text von Tina Beckmann zu Gemüte zu führen. der ist fiktiv, aber aus diversen realen Erlebnissen zusammengesetzt, und wer geistig nicht komplett vernagelt ist, kommt durchaus zu der Erkenntnis, dass es sich da nicht um übersteigerte Fiktion handelt, sondern um die Lebensrealitäten der allermeisten Menschen, denen ein morsches Boot auf dem Mittelmeer das geringere Übel erscheint, als da zu bleiben, wo sie bisher waren.
bereits im Rahmen der Tweets begann die Debatte, ob und wie traumatisiert die Geflüchteten sind, und ob es überhaupt eine geeignete Methode sein kann, sie ohne therapeutische Betreuung einfach so zu verstauen.
natürlich kann es keine geeignete Methode sein, aber. aber woher soll man geeignete Betreuung nehmen. oder gar bezahlen. deswegen kann man die Leute aber nicht abweisen. traumatisiert in Sicherheit ist immer noch besser als weiter traumatisiert oder weiterhin in Lebensgefahr.
durchschnittlich kann man wohl davon ausgehen, dass die Betroffenen erschöpft sind, verängstigt, abgekämpft, trauernd um Angehörige, liebgewonnenes, das Zuhause etc.pp., usw.
dann kommen sie nach wochenlanger Odyssee endlich irgendwo an (werden auch noch begrüßt von Feindseligkeit und Brandanschlägen, aber lassen wir das mal außer Acht, der Beitrag eskaliert sonst total). kriegen ein paar Kleidungsstücke in die Hand gedrückt und was weiß denn ich, ein Brot meinetwegen, und kriegen ein Zimmer gezeigt, wo sie jetzt erstmal bleiben können.
die Menschen werden in Zeltstädte gesteckt, weil man nicht weiß wohin mit ihnen, da kann man wohl davon ausgehen, dass es eng zugeht, dass viele, viele Menschen auf kleinem Raum versammelt sind. das wird wohl auch für festere Unterkünfte nicht viel anders sein.
ich muss nicht mal die abgekämpfte Mutter herbeizitieren, die seit 3 Wochen ihr Kind trägt und einfach nicht mehr stehen kann. entsetzlicherweise schaffen es ja viele Frauen und Kinder gar nicht erst hierher.
aber auch bei „jungen, gesunden“ Männern habe ich keine Probleme, mir folgendes vorzustellen: 50 Männer auf engem Raum, aus den verschiedensten Ländern, mit relativ wenig Gemeinsamkeiten außer der einen, großen: sie haben nichts mehr, außer dem Schlafplatz, 2 Hosen und 2 Pullovern, und hoffentlich noch etwas Kontakt nach Hause. trotzdem sind sie allein in der Fremde, haben auf der Flucht ziemlich sicher Unbeschreibliches gesehen, möglicherweise geliebte Menschen verloren, sicher aber zurückgelassen. ihr Leben, wie sie es kannten, existiert nicht mehr. was vor ihnen liegt, wissen sie nicht.
fiele einem von „uns“ in dieser Situation ein, zu PUTZEN?
hätte einer von „uns“ in dieser Lage die Nerven, sich unterweisen zu lassen, wie man in Kaltland korrekt Müll entsorgt?
dazu kommt noch:
draußen regnet es, 50 Menschen kommen mit nassen Schuhen ins Haus und gehen durch den Flur (auf die Idee, man solle Hausschuhe ausgeben oder die alle die Schuhe ausziehen, kommt jetzt hoffentlich keiner im Ernst). es wimmelt überall von aufgewühlten, womöglich desorientierten Menschen, die erst seit 2 Tagen hier sind, die noch nicht glauben können, auch nur auf einem Feldbett schlafen zu können. die Unterbringung ist nicht auf die Anzahl ausgelegt, die tatsächlich gekommen ist, sanitäre Einrichtungen sind dauerbesetzt, selbst große Müllsäcke in Minuten voll.
ehrlich. ein bisschen Geduld. ein bisschen Langmut. die Leute erstmal zu Atem kommen lassen, sie ein paar Tage Sicherheit fühlen lassen. dann kann man doch immer noch deutsche Kasernenhofsauberkeit einfordern.
(ja, ich bin SEHR beeindruckt von Tina Beckmanns Text. Nachhaltig. unter diesem Einfluss steht logischerweise der gesamte Text hier, der vollkommen meinem Vorstellungsvermögen entsprungen ist, da ich keine Ahnung habe, wie es realiter ist, zumindest nicht mehr als durch spärliche Medienbilder. notfalls liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.)