31. Dezember 2016 gg. 23h, die Polizei Köln twittert mit ihrem offiziellen Account:
#PolizeiNRW #Silvester2016 #SicherInKöln: Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen.
inkl. Bild mit entsprechender Unterschrift „Kontrolle von Nafris am Hauptbahnhof“
(Link zum Tweet)
was, zur Hölle, ist ein Nafri?
die Frage stellt sich auch in den Kommentaren zum Tweet und wird dort auch schnell beantwortet: „Nafri“ steht für „Nordafrikanische Intensivstraftäter“
OK. die Polizei Köln hat also ausgerechnet zum Silvesterabend mehrere Hundert Bekannte Straftäter zum Bahnhof gebracht, um sie dort zu überprüfen. irgendwie unvorsichtig, oder?
achso nein, so ist das nicht gemeint?
ah, die Aufklärung sieht so aus:
viele Leute wollten wie letztes Jahr unterm Dom – also gleich beim Hauptbahnhof – Silvester feiern. wegen der unglückseligen Vorfälle letztes Jahr hat die Exekutive in diesem Jahr einen bestimmten Personenkreis schon im Bahnhof abgefangen und vor dem Zutritt zum Domplatz gesondert kontrolliert.
so weit, so gut
unerträglich unappetitlich dabei:
- abgefangen und ausgesondert wurden praktisch ausschließlich Personen, die augenscheinlich einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden können, nämlich Nordafrikaner und evtl. auch Südeuropäer.
- diese Personen wurden in der Mitteilung via Twitter pauschal als Intensivstraftäter vorverurteilt, obwohl sie dort lediglich zur Kontrolle standen. es gab insgesamt 6 (!) Festnahmen, bei Anwesenheit besagter Intensivstraftäter wäre wohl auch von einigen Festnahmen mehr auszugehen gewesen zB wg. vorhandener Haftbefehle
- der Polizeipräsident rudert am nächsten Tag zurück, man hätte „Nafri“ nicht nach außen kommunizieren sollen.
- der gesamte rassistische Mob in Kaltland feiert das Vorgehen und geht mit verbalen Fackeln und Heugabeln gegen alle Kritiker vor
ad 1)
Das ist schlicht und einfach racial profiling. da gibt es nichts dran schönzureden. die Menschen wurden schlicht und einfach anhand optischer Kriterien herausgegriffen. da liegt nicht mal der unten aufgeführte Zeit-Kommentar richtig, wenn er von „nordafrikanischen Männern ohne Begleitung“ schreibt. es gibt etliche Zeugenberichte von gemischten Freundesgruppen, aus denen auch Türken, Griechen etc., herausgegriffen wurden und zumindest vorerst am Betreten des Platzes gehindert.
umgekehrt wurden bekanntermaßen nicht weniger übergriffige an- bzw. betrunkene deutsche bzw. hellhäutige männliche Personen keines Blickes gewürdigt.
ad 2)
nochmal der Reihe nach. „Nafri“, leider muss ich die unsägliche Vokabel noch ein paar Mal benutzen, bezeichnet Intensivstraftäter – also Personen, die mehrerer Straftaten überführt werden konnten. in der Warteschlange vor dem Domplatz standen Personen, die im Bahnhof aufgrund ihres Äußeren aus der Menge herausgegriffen wurden. sie sind also höchstens verdächtig, aber keineswegs nachgewiesenermaßen Straftäter. mag sein, dass die Exekutive auch Verdächtige unter den selben Hut schiebt wie nachgewiesene Täter. das würde in der Tat einiges erklären, was man im Laufe der Jahre so alles erlebt hat. abseits des Polizeijargons und des Dienststellendenkens ist eine solche Bezeichnung aber schlicht sachlich falsch und logisch nicht haltbar.
im aktuellen Zusammenhang ist die Bezeichnung auch noch geeignet, bestehende Ressentiments zu verstärken – vllt. könnte man da sogar über Volksverhetzung nachdenken.
ad 3)
am nächsten Tag kam einiges zum Hintergrund dieses Begriffs „Nafri“ auf. er stammt wohl aus einem internen Papier der Polizei Köln oder NRW (ich hab mir nicht jedes Detail reingetan, imho tut es auch nichts zur Sache, wo genau das Papier entstanden ist). dem Kölner Polizeipräsident Mathies zufolge hätte der Begriff nicht nach außen kommuniziert werden sollen.
im Dienstgebrauch ist es aber total in Ordnung, schon einen griffigen Begriff zur Hand zu haben, damit man potentielle Verdächtige gleich in die richtige Schublade stecken kann…?
das klingt viel zu theoretisch-psychologisch, aber es ist doch auch nicht von der Hand zu weisen: wenn es für etwas einen eigenen Begriff gibt, wird es greifbar(er). wenn eine bestimmte Gruppe einen eigenen Oberbegriff bekommt, im strafrechtlichen Kontext, dann wird man vermutlich annehmen, dass es dafür einen Grund geben muss, dass ausgerechnet die schon einen eigenen Namen bekommen haben.
aber gesonderter Name hin oder her: „nordafrikanische Intensivstraftäter“ – die kann man NICHT anhand der Hautfarbe, Kleidung, Dialekt, Akzent, Muttersprache etc. VORAB erkennen. kein Normalmensch und keine Exekutive. entsprechend kann sie auch keiner absondern, um andere Einlasskontrollen vorzunehmen.
vielleicht bin ich naiv, aber ich bin der Meinung, die Exekutive hat neutral zu sein, zu handeln, zu kommunizieren. wenn die Exekutive sich von Vorurteilen, Stereotypen und einfachen Begrifflichkeiten lenken lässt, und sei es nur unbewusst (zB weil ein leichtfertig eingeführter Begriff die Wahrnehmung geprägt hat und keine Reflexion drüber passiert), gefährdet das imo die ganze Demokratie.
ad 4)
das Geifern und Kreischen durch alle Kommentarzonen kann man sich kaum vorstellen, es ist widerwärtig, beängstigend, und ekelerregend. der Boden bereitet seit „das wird man ja noch sagen dürfen“ ist die Ernte bald reif und mir wird Tag für Tag schlecht, dabei vermeide ich schon fast alles, was auch nur aussieht wie ein Leserkommentar.
schlimmer noch, selbst Leute, die innerhalb ihres eigenen Kommentars herumschwimmen mit „Ich weiß, das klingt schlimm, ich mag das auch eigentlich gar nicht schreiben“ (und aufgrund der Umstände, unter denen ich den Kommentar mit diesem Zitat gefunden habe, bin ich einfach mal so wagemutig (oder doch nur naiv?) und unterstelle nicht, dass es sich nur um eine Abwandlung von „ich bin ja kein Nazi, aber“ handelt), kriegen den mentalen Sprung nicht hin, auf die Frage, „was hätte die Polizei denn machen sollen?“ schlicht logisch und folgerichtig zu antworten:
1a) alle komplett kontrollieren/generelle Zugangskontrollen am Domplatz (in Sachen „geht logistisch nicht“: in Frankfurt/Main hat man das für Mainufer und Brücken kurzerhand so praktiziert) oder
1b) generell „nur“ stichprobenartig kontrollieren; jedenfalls für 1a) als auch 1b) sich nicht auf eine Subgruppe Silvesterfeiernde beschränken
2) präventive Präsenz auf dem Domplatz zeigen und als Ansprechpartner erkennbar und erreichbar sein
3) auf gar keinen Fall diesen Tweet mit dieser Wortwahl veröffentlichen.
die nicht-gemäßigten Stimmen, die Geiferer und Eiferer ziehen jetzt über jeden her, der es wagt, zu sagen, das Vorgehen war nicht 100% in Ordnung, Ton und Ausdrücke, die da benutzt werden, kann, aber will man sich nicht vorstellen. bei Licht betrachtet kann das aber auch nicht mehr überraschen. das Geschrei in den Kommentarzonen müsste man inzwischen eigentlich gewöhnt sein. verwundern braucht es einen also nicht mehr, deswegen muss es einen aber auch noch lange nicht kalt lassen.
so oder so. die Exekutive hat in meinen Augen unabdingbar neutral zu sein, wie grade schon erwähnt. wo sie das nicht hinbekommt und/oder sich auch ganz offenkundig daneben benimmt, muss Kritik nicht nur erlaubt sein, sondern verkraftet werden und noch viel mehr: Angenommen werden und konstruktiv umgesetzt.
„hätte nicht öffentlich verwendet werden dürfen“ ist übrigens keine konstruktive Umsetzung…
Inzwischen gibt es zum Glück auch einen Artikel in der offiziellen Presse, der ebenfalls Kritik am Vorgehen und den Stimmen dazu übt: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-01/polizeieinsatz-koeln-silvester-racial-profiling/komplettansicht. Seit ich den gelesen hab, und ich hoffe, ich hab da nicht nur reingelesen, dass er nicht auf Seiten der Rassentrenner steht, bin ich nicht mehr zu 110% verzweifelt über die Welt. Aber immer noch zu 100%, denn ich befürchte, es ist reichlich gefährlich geworden in diesem Land. Hoffentlich haben wir noch Zeit und Gelegenheit, zu verhindern, dass sich alles wiederholt, von dem doch eigentlich alle sehen müssten, dass wir uns drauf zu bewegen – und dass das auch 80 Jahre später nicht gutgehen kann.