Hochqualitativer Schrott

„Frontalunterricht macht klug“, überschreibt die FAZ ihren Artikel.

Der ganze Artikel, bzw. seine Wunschaussage steht im 2. Absatz:

In der Empirie finden die Reformpädagogen allerdings wenig Legitimation: Kinder lernen immer noch am besten, wenn man sie in guter alter Manier frontal unterrichtet. Das haben Bildungsökonomen in einer groß angelegten Analyse herausgefunden. Zwar nicht für Deutschland, sondern für die Vereinigten Staaten, weil es dort eine Unmenge qualitativ guter Daten gibt. Die Aussage ist aber eindeutig: Frontalunterricht bringt mehr als problemorientierter oder gar offener Unterricht.

Nicht überraschend, dass in den Kommentaren die FAZ-Klientel(*) freudig, hämisch, hasserfüllt über die Alt-68er, Grüne, und als Klimax des Feindbilds: Antiautoritäre Erziehung herzieht. Wobei vollkommen unklar bleibt, was die fälschlicherweise immer als antiautoritär bezeichnete freie Erziehung mit Frontal- oder anderen Unterrichtsformen zu tun hat, aber die Methoden der realitätsfernen Gutmenschen, Träumer und Phantasten kann man schon in einen Topf schmeißen, ist eh alles nur ein Brei von Gekuschel, der die Ellbogen verkümmern lässt, wie schauderhaft.

Auch aus den Kommentaren aber kommt erfreulich fundierte und den Artikel vollkommen entwertende Kritik. Die Studie, auf die sich der Artikel nämlich bezieht, besagt im Grunde gerade das Gegenteil. Nicht der Frontalunterricht sei den anderen Formen überlegen, sondern krampfhaftes Beharren auf alternativen Formen bringt keine besseren Ergebnisse als Frontalunterricht. Nicht-frontale Formen des Unterrichts bedürfen gezielter Vorbereitung und sorgfältiger Umsetzung, taugen also nicht dazu, die Schüler mit „Macht ihr das mal in Gruppenarbeit“ von sich fernzuhalten, um in Ruhe frühstücken zu können. Ja, sowas!

Auch das, was im Artikel mit Frontalunterricht bezeichnet wird, bezeichnet nicht das klassische „einer redet, alle dämmern dahin“, sondern „lehrergesteuerter Unterricht mit hoher Schüleraktivität“, also praktisch moderierte Gruppenarbeit, bei der die ganze Klasse die Gruppe darstellt und der Lehrer die Richtung und Beteiligung steuert, aber alle Schüler aktiv mitarbeiten – erfährt man auch nur aus einem Leserkommentar.

Es fällt mir schwer, so viel technische Mängel in einem Artikel nicht kurzerhand daran festzumachen, dass das übliche Ressort der Autorin Wirtschaftspolitik ist. Bildung, Pädagogik sind jedenfalls nicht grade ihre heimischen Themen. Aber gut, man kann sich ja auch mal mit was auskennen, zu dem man sich sonst nicht ausgiebig äußert. Grade zu Bildung und Erziehung hat aber halt sowieso jeder eine unverrückbare Meinung und kennt sich wahnsinnig gut aus, da bleib ich leider trotzdem skeptisch.
Wie ich’s auch dreh und wende, der Artikel ist da einfach nachgeradezu beschämend mies, Schrott eben. Warum auch immer. Dabei soll hinter einer FAZ doch immer ein kluger Kopf stecken, so hieß doch die alte Werbung. Entsprechend erwartet man doch auch fundierte, qualitativ hochwertige Artikel. Oder ist da absichtlich am Gusto der Kernleserschaft entlang geschrieben worden? Oder ist eine Studie, die am Ende nicht eine Methode bestehen und die anderen durchfallen lässt, einfach nicht plakativ genug, und auch die vermeintliche Niveauleserschaft erwartet unterm Strich doch digitale Entscheidungen (Top vs. Flop) anstelle komplizierter Abwägungen auf einem Kontinuum von sich gegenseitig beeinflussenden Variablen?

Zum Schluß hab ich noch einen ganz anderen Punkt, der weder bei der Studie (anscheinend – ich hab mir ganz ehrlich die Mühe nicht gemacht sondern verlasse mich da auf die Kommentatoren. ich bin aber auch kein Qualitätsjournalist, sondern Meinungsblogger und will hier in erster Linie motzen bzw. ranten), noch im Artikel noch in den Kommentaren vorkommt. Was heißt denn jetzt eigentlich wieder, das oder das ist die bessere Lehrmethode? An was wird das gemessen?
Das scheint so selbstverständlich, dass es mit keiner Silbe erwähnt wird.
Aber mal im Ernst, woran wird das festgemacht, womit die Schüler jetzt besser lernen? An der Jahresendnote? An einem objektiven Test, den nicht der unterrichtende Lehrer entworfen hat (wäre auch schwer zu realisieren, denn was genau unterrichtet wurde, ist auch nicht so 100% klar zu erfassen – der Lehrplan ist auch mehr ein Soll als ein Wurde-gemacht, vllt. die Aufzeichnungen von Schülern und Lehrer? Ich hab jedenfalls keine Ahnung.)?
Aber was würde man denn mit solchen Tests, so quasi Lernzielkontrollen, messen? Ob die Schüler das, was sie in dem Schuljahr lernen sollten, auch prüfungsgerecht wiedergeben können. Das wäre also ein klassischer Bulimie-Test. Einfach, aber phantasielos, und vom Bulimie-Lernen versucht man sich doch auch seit Jahrzehnten zu lösen. Zumindest gibt man das vor.
Stures Fakten inhalieren und auf Knopfdruck wieder ausspucken, das sollte es doch eigentlich nicht mehr sein.
Gefragt seien doch andere Skills, hieß es – Transfer von einem Wissensbereich zum anderen, kreative Anwendung des Gelernten und nicht ahnungsloses Verzweifeln, wenn anstelle des gelernten Beispiels eine andere Anwendung tritt, usw. usf.
Im Artikel gibt es einen kleinen Anhaltspunkt, dort heißt es, mit etwas mehr Frontalunterricht erreiche man „einen Leistungsvorsprung, der ungefähr dem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht“, und das klingt dann doch wieder mehr nach bulimischem Lernen. Auswendiglernen lässt sich von vorn durch Vorkauen besser forcieren, als wenn Lösungen auf eigene Faust erarbeitet werden. Das dauert natürlich länger – zumindest bis die Schüler dran gewöhnt sind, in der Schule auch aktiv zu sein und selbst was beizutragen. Dann allerdings sind die selbständigeren Methoden schneller und überlegen. Wer nur zuhören und bestenfalls mitschreiben gewöhnt ist, bei dem ist es doch ziemlich einleuchtend, dass da erstmal große Augen und ein massives „Hä?“ rauskommen, wenn mehr Aktion gefordert wird.

Mir persönlich war Frontalunterricht allerdings lieber als kreativeres Lernen: Da konnt ich abschalten, den Vortrag im Halbdämmer an mir vorüberziehen lassen und möglichst passiv und unbeteiligt wieder einen Schultag hinter mich bringen. Vielleicht ist das in der Tat das geringere Übel, bei dem die Schüler sich möglichst wenig aufs Schulsystem einlassen müssen und die Schulzeit halbwegs unbeschadet überstehen können.

(*) Anekdote am Rande. Die FAZ ist ja nicht sonderlich verschrieen, Bollwerk der liberalen Progressivität zu sein. Um so mehr schauderte es mich, als ich aus 1. Hand aus der Abonnenten-Betreuung hörte, da habe einer sein Abo gekündigt, weil ihm das Blatt, O-Ton!, viel zu links-liberal geworden sei.
Nicht, dass das den prekär beschäftigten Callcenter-Agent interessieren würde, warum einer kündigt, aber offenbar fühlt sich die Mehrheit bemüßigt, mitzuteilen, warum sie etwas tun. Am Rande irgendwie auch interessant, dieser intrinsische Rechtfertigungsdruck. Wenn auch völlig offtopic.