Auf den VWL-Topf passt kein BWL-Deckel

pflegeberufe sind unterbezahlt

das Bild scrollte heute im blauen (Gesicht-)Buch an mir vorbei. soweit so gut, nichts einzuwenden.
dass sich in den Kommentaren natürlich auch das unvermeidliche Rudel Verrückter findet, die nur die Migrationsbewegungen der letzten drei Jahre dafür verantwortlich machen – geschenkt. so blöd muss man erstmal sein, zu meinen, Pflegenotstand und Unterbezahlung sozialer Berufe seien ein neues Phänomen, dafür gibt’s sogar einen Extrapunkt fürs Schreiben-Können.

aber die wirkliche Ursachenforschung, die wäre halt mal interessant, und mit der befassen sich auch die nicht, die etwas weiter als von zwölf bis mittags denken können.

besser bezahlte Pflegeberufe, und Pflegeschlüssel, die eine wirkliche Pflege und nicht nur Notversorgung ermöglichen, das ergäbe sich von selbst, wenn Grundversorgungsbereiche nicht gezwungen würden, „wirtschaftlich“ zu arbeiten. Pflege, aber auch ÖPNV, Wasser, Strom, Straßen, Infrastruktur gehört schlichtweg nicht privatisiert und BWL-„Logik“ unterworfen. dann klappt’s auch mit Gehältern – und mit der Qualität auf einmal auch*, ja sowas.
*bzw. auch wieder, wie Gemeinden festgestellt haben, die ihre privatisierten Betriebe zurückgekauft hatten. und es kommt auf einmal sogar billiger, den Betrieb zu betreiben, als die Leistung einem Privatbetreiber abzukaufen.

nur leider läuft das dem heiligen Credo der Privatisierung, Outsourcing, „PPP“ public-private-partnership etc. zuwider, und erfordert halt auch mehr Überlegung und Überblick, als stures Anwenden von Prinzipien, die für einen Privathaushalt evtl. Sinn ergeben oder für einen kleinen Betrieb – aber schon große Firmen, von Konzernen ganz zu schweigen, haben erkannt, dass vermeintlich unnötige Ausgaben auf wundersame Weise mehr Nutzen bringen.

ich denk mir mal was aus, zB einen Betriebskindergarten. Nahe am Betrieb, den Bedürfnissen dort Angestellter Eltern angepasst, zB was Öffnungszeiten angeht. Sowas bringt auf den ersten Blick gar nichts, nur Kosten für Räume und Personal.
allerdings sind die Mitarbeiter entspannt, wenn sie ihre Kinder gut versorgt wissen, noch dazu in ihrer Nähe, und die Öffnungszeiten den eigenen Arbeitszeiten angepasst sind. entspannte Mitarbeiter können sich auf ihre Arbeit konzentrieren und bringen bessere Leistung. entspannte und konzentierte Mitarbeiter, die dadurch in der Lage sind, hohe Leistung zu erbringen, erfahren dadurch auch Bestätigung – also richtig verstehen hier, nicht erst dadurch, dass der Vorgesetzte die Leistung würdigt, sondern allein dadurch, dass die Leistung erbracht werden kann, steigt die Zufriedenheit mit der Arbeit und dem Arbeitsplatz. das hebt natürlich wiederum die Motivation und das Engagement, der Einsatz und damit die Leistung und das Ergebnis steigen noch mehr an.
dass das hier ein Idealbild ist, ist mir auch klar. es gibt natürlich noch zig Faktoren mehr, die auf Arbeitsplatzzufriedenheit, Motivation, Leistung usw. Einfluss nehmen. andersherum hat eine solche betriebliche Einrichtung u.U. auch noch andere positive Faktoren für den Betrieb –
aber selbst, wenn das Beispiel in der Realität gar nicht aufgehen sollte (was ich nicht glaube), der springende Punkt ist: auf den ersten Blick sieht das nach einer Investition aus, die nur kostet und keinen ROI bringt, wie es so schön heißt, also Return on Investment, sich halt nicht auszahlt. rein karitative mildtätige Aktion des Arbeitgebers. weil man halt kein Unmensch ist.
Moment – wozu würde man das den demonstrieren wollen? achso, zur Imagepflege. wozu denn ein Image, vom Image kann ich mir doch nix kaufen. irrelevant. – oder auch nicht, wenn das Image meiner Firma so schlecht ist, dass es Kampagnen dagegen gibt, oder gar Boykotte, oder sich die Aktienanleger von mir zurückziehen. also hat selbst das rein ideel vorhandene Image doch auch einen monetären Wert, hoppla. noch dazu einen, auf den man nicht mal Steuern zahlen muss.
also rentiert sich selbst Imagepflege. und dass unzufriedene Angestellte und Arbeiter, die längst innerlich gekündigt haben und nur noch Dienst nach Vorschrift runterleiern, nicht die beste Basis für gute Arbeitsqualität sind, sollte sich sogar in die hintersten Winkel rumgesprochen haben.

so. jetzt mal zurück zur öffentlichen Infrastruktur, zu hoheitlichen Aufgaben der Grundversorgung, Wasser, Strom, Personen- und Güterverkehr und Gesundheitswesen. selbst wenn man jetzt über den Staat denkt wie über einen Betrieb. inwiefern zahlt sich aus, wenn ich qualitativ hochwertige Arbeitsbedingungen schaffe?
einmal durch geringere Störanfälligkeit. gut gewartete Maschinen produzieren zuverlässiger und man riskiert keine unkalkulierbaren Ausfallzeiten durch große Reparaturen. analog dazu gewährleistet eine zuverlässige Infrastruktur, Wasser, Strom, Straßen, öffentliche Verkehrsmittel, dass Bürger wie Unternehmen sich ihrem Beruf bzw. Geschäft widmen können und nicht erst dafür sorgen müssen, dass sie überleben bzw. produzieren können.
zweitens durch hohe Motivation der Arbeiter/Angestellten. gute Arbeitsbedingungen fördern die Zufriedenheit und die die Motivation, dadurch steigen Produktivität und Qualität. hat man das Gefühl, als Individuum wichtig zu sein, fühlt man sich damit besser, als wenn man sich nur als ein austauschbares mechanisches Bauteil fühlt. hat man das Gefühl, es werde sich um seiner selbst willen um einen gekümmert, ist das aufbauender, als wenn man nur gesund sein soll, damit man kein totes Kapital darstellt geschweigedenn Kosten verursacht.

Arbeitskräfte im kleinen (Betrieb) genauso wie Menschen, Bürger im großen (Staat) wollen als ganzes wertvoll und wichtig sein, und nicht nur aufgrund ihrer Produktivität und Kosteneffizienz. Arbeitskräfte kündigen innerlich, machen Dienst nach Vorschrift und klauen Arbeitsmaterial, Menschen wenden sich vom Land/Staat als sozialem Gebilde ab, schauen ihrerseits nur noch nach ihrem eigenen Vorteil, arbeiten schwarz und hinterziehen Steuern.
Aktuell ist zeigt sich ein Ergebnis dieser Entwicklung weg von Solidaritätsprinzip und gemeinschaftlicher Vorsorge hin zu egoistischem Vorteilsdenken daran, dass Versicherungen zunehmend nur noch als Geldanlage betrachtet werden. Es wird offen damit Reklame gemacht, es sei doch nicht fair, dass man Jahr für Jahr Versicherungsbeiträge bezahlt und dann ja „gar nichts“ davon hat. Da gibt es mehr und mehr Bonuszahlungen für nicht in Anspruch genommene Leistungen – bei der Hausratversicherung ist das noch relativ unschädlich, bei der Krankenversicherung kann solch eine Entwicklung fatale Folgen haben, ich hab erst letztens in einem Absatz über die Entsolidarisierung geschrieben – zur Zeit ist Gesundheit eh schon das Goldene Kalb, um das sich einfach alles dreht, jede Woche wird einem neuen Hype hinterhergehechelt und ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für Blüten treibt, erst kommen Boni für die freiwillige Preisgabe der Fitnessarmband-Daten, als nächste Aufschläge für Versichertenkonten ohne solche Daten, und als nächstes verwirkt man die Krankenversicherung ganz, wenn man nicht a), b) oder c) – gehört hier nicht mehr so ganz zum ursprünglichen Thema, aber vor 10, naja vllt. vor 15 Jahren wär sowas noch unvorstellbar gewesen, heute ist es das erschreckenderweise nicht mehr.

salbader, salbader.
kurz zusammengefasst: solange die „heilige Lehre“ sich ausschließlich darum dreht, Kosten zu sparen, Ausgaben zu vermeiden und zum nächsten Quartalsergebnis den maximalen ROI für kurzfristige Anleger auszuweisen, wird man Betriebe und Länder auf diese Weise zugrunde richten.